1799 - Alexander von Humboldt Ankunft auf Teneriffa
Am 19. [Juni] morgens sahen wir den Berggipfel Naga (Punta de Naga, Anaga oder Nago), aber der Pik von Teneriffa blieb fortwährend unsichtbar. Das Land trat nur undeutlich hervor, ein dicker Nebel vermischte alle Umrisse. Als wir uns der Reede von Santa Cruz näherten, bemerkten wir, dass der Nebel, vom Winde getrieben, auf uns zukam. Wir warfen Anker, nachdem wir mehrmals das Senkblei ausgeworfen; denn der Nebel war so dicht, dass man kaum auf ein paar Fadenlängen sah. Aber eben da man anfing, den Platz zu salutieren, zerstreute sich der Nebel völlig, und es erschien der Pik de Teide in einem freien Stück Himmel über den Wolken, und die ersten Strahlen der Sonne, die für uns noch nicht aufgegangen war, beleuchteten den Gipfel des Vulkans. Wir eilten eben aufs Vorderdeck der Korvette, um dieses herrlichen Schauspieles zu genießen, da signalisierte man vier englische Schiffe, die ganz nahe an unserem Hinterteil auf der Seite lagen. Wir waren an ihnen vorbeigesegelt, ohne dass sie uns bemerkt hatten, und derselbe Nebel, der uns den Anblick des Piks entzogen, hatte uns der Gefahr entrückt, nach Europa zurückgebracht zu werden. Wohl wäre es für Naturforscher ein großer Schmerz gewesen, die Küste von Teneriffa von weitem gesehen zu haben und einen von Vulkanen zerrütteten Boden nicht betreten zu dürfen. Alsbald hoben wir den Anker und der Pizarro näherte sich dem Fort, um unter dessen Schutz zu kommen. Hier auf dieser Reede, als zwei Jahre vor unserer Ankunft die Engländer zu landen versuchten, riss eine Kanonenkugel Admiral Nelson den Arm ab (im Juli 1797). Der Generalstatthalter der Kanarischen Inseln schickte unserem Kapitän den Befehl, alsbald die Staatsdepeschen für die Statthalter der Kolonien, das Geld an Bord und die Post an Land schaffen zu lassen. Die englischen Schiffe entfernten sich von der Reede; sie hatten Tags zuvor auf das Paketboot Alcadia Jagd gemacht, das wenige Tage vor uns von Coruña abgegangen war. Es hatte in den Hafen von Palmas auf Gran Canaria einlaufen müssen, und mehrere Passagiere, die in einer Schaluppe nach Santa Cruz auf Teneriffa fuhren, waren gefangen worden. Lange und mit Ungeduld warteten wir auf die Erlaubnis seitens des Generalstatthalters, an Land gehen zu dürfen. Das erste, was uns zu Gesicht kam, war ein hochgewachsenes, sehr gebräuntes, schlecht gekleidetes Frauenzimmer, das die Capitana hieß. Hinter ihr kamen einige andere in nicht anständigerem Aufzug; sie bestürmten uns mit der Bitte, an Bord des Pizarro gehen zu dürfen, was ihnen natürlich nicht bewilligt wurde. In diesem von Europäern so stark besuchten Hafen ist die Ausschweifung diszipliniert. Die Capitana ist von ihresgleichen als Anführerin gewählt und hat große Gewalt über sie. Sie lässt nichts geschehen, was sich mit dem Dienst auf den Schiffen nicht verträgt, sie fordert die Matrosen auf, zur rechten Zeit an Bord zurückzukehren, und die Offiziere wenden sich an sie, wenn man fürchtet, dass sich einer von der Mannschaft versteckt habe, um auszureißen. Als wir die Straßen von Santa Cruz betraten, kam es uns zum Ersticken heiß vor, und doch stand das Thermometer nur auf 25 Grad. Wenn man lange Seeluft geatmet hat, fühlt man sich unbehaglich, so oft man an Land geht, nicht weil jene Luft mehr Sauerstoff enthält als die Luft an Land, wir man irrtümlich behauptet hat, sondern weil sie weniger mit den Gasgemischen geschwängert ist, welche die tierischen und Pflanzenstoffe und die Dammerde, die sich aus ihrer Zersetzung bildet, fortwährend in den Luftkreis entbinden. Miasmen, welche sich der chemischen Analyse entziehen, wirken gewaltig auf unsere Organe, zumal wenn sie nicht schon seit längerer Zeit denselben Reizen ausgesetzt gewesen sind. Santa Cruz de Teneriffa, das Anaza der Guanchen, ist eine ziemlich hübsche Stadt mit achttausend Einwohnern. Mir ist die Menge von Mönchen und Weltgeistlichen, welche die Reisenden in allen Ländern unter spanischem Szepter sehen zu müssen glauben, gar nicht aufgefallen. Ich halte mich auch nicht damit auf, die Kirchen zu beschreiben, die Bibliothek der Dominikaner, die kaum ein paar hundert Bände zählt, den Hafendamm, wo die Einwohnerschaft abends zusammenkommt, um der Kühle zu genießen, und das berühmte dreißig Fuß hohe Denkmal aus carrarischem Marmor, geweiht unserer Lieben Frau von Candelaria zum Gedächtnis ihrer wunderbaren Erscheinung zu Chimisay bei Guimar im Jahr 1392. Der Hafen von Santa Cruz ist eigentlich eine große Karawanserei auf dem Wege nach Amerika und Indien. Fast alle Reisebeschreibungen beginnen mit einer Schilderung von Madeira und Teneriffa. Wenn man ins Tal von Tacoronte hinabkommt, betritt man das herrliche Land, von dem die Reisenden aller Nationen mit Begeisterung sprechen. Ich habe im heißen Erdgürtel Landschaften gesehen, wo die Natur großartiger ist, reicher in der Entwicklung organischer Formen; aber nachdem ich die Ufer des Orinoco, die Kordilleren von Peru und die schönen Täler von Mexiko durchwandert, muss ich gestehen, nirgends ein so mannigfaltiges, so anziehendes, durch die Verteilung von Grün und Felsmassen so harmonisches Gemälde vor mir gehabt zu haben. Das Meeresufer schmücken Dattelpalmen und Kokosnussbäume; weiter oben stechen Bananengebüsche von Drachenbäumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlangenleib vergleicht. Die Abhänge sind mit Reben bepflanzt, die sich um sehr hohe Spaliere ranken. Mit Blüten bedeckte Orangenbäume, Myrten und Zypressen umgeben Kapellen, die die Andacht auf freistehenden Hügeln errichtet hat. Überall sind die Grundstücke durch Hecken von Agave und Kaktus eingefriedet. Unzählige kryptogamische Gewächse, zumal Farn, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren Wasserquellen feucht gehalten werden. Im Winter, während der Vulkan mit Schnee und Eis bedeckt ist, genießt man in diesem Landstrich eines ewigen Frühlings. Sommers, wenn der Tag sich neigt, bringt der Seewind angenehme Kühlung. Die Bevölkerung der Küste ist hier sehr stark; sie erscheint noch größer, weil Häuser und Gärten zerstreut liegen, was den Reiz der Landschaft noch erhöht. Leider steht der Wohlstand der Bevölkerung weder mit ihrem Fleiß noch mit der Fülle der Natur im Verhältnis. Die das Land bebauen, sind meist nicht Eigentümer desselben; die Frucht ihrer Arbeit gehört dem Adel, und das Lehenssystem, das so lange ganz Europa unglücklich gemacht hat, lässt noch heute das Volk der Kanarien zu keiner Blüte gelangen.
Alexander von Humboldt's Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff (Einzige von A.v.H. anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache) Band 1, Stuttgart 1861
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